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Ulcus cruris hypertonicum

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Wundwissenlexikon: Ulcus cruris hypertonicum

Quelle: https://medicalforum.ch/de/resource/jf/journal/file/view/article/smf.2014.01857/smf-01857.pdf/

Das Ulcus cruris hypertonicum wird auch als Infarktulcus, ischämisches Beinulcus oder Ulcus hypertonicum Martorell (erstmals beschrieben von Fernando Martorell, 1945) bezeichnet. Es besteht aus einer rasch progredienten und extrem schmerzhaften Hautnekrose am laterodorsalen Unterschenkel oder über der Achillessehne. Die Diagnose ist leider vielerorts unbekannt. Da es sich um eine spezielle Form des Ulcus cruris handelt, werden viele Patienten falsch diagnostiziert. Oftmals erhalten die Betroffenen die Diagnose Pyoderma gangraenosum, dass klinische Bild ist einem Ulcus cruris hypertonicum sehr ähnlich. Statt zielführenden chirurgischen Maßnahmen erhalten diese Patienten fälschlicherweise eine hochdosierte Immunsuppresion.

Entstehung und klinisches Bild

Häufig entsteht ein Ulcus cruris hypertonicum aus einem Bagatelltraumata. Innerhalb weniger Tage bis Wochen entwickelt sich das Ulcus aus einem lividen Fleck heraus.

Die meisten Patienten weisen einen markanten, meist therapiebedürftigen, langzeitig bestehenden Hypertonus auf, häufig kombiniert mit einem Typ 2-Diabetes (>50% der Patienten). Bei einem subtilen Arteriosklerosescreening kann bei > 50% der Pateinen eine periphere AVK nachgewiesen werden.

Typischerweise sind Betroffene zwischen 60 – 85 Jahre alt, vereinzelt tritt das Ulcus auch ab dem 40. Lebensjahr auf – in größeren Studien lag das Durchschnittsalter bei 72 Jahren. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Zur Ätiologie des Ulcus hypertonicum Martorell gibt es drei Erklärungsansätze: die ischämisierende Arteriolosklerose, die Mediakalzinose der pathologischen Arteriolen und die Entzündungsvorgänge. Im erkrankten Hautareal haben die Arteriolen eine verbreiterte Gefäßwand auf Kosten eines stark reduzierten Lumens. Diese stenosierende Arteriolosklerose ist wahrscheinlich die direkte Ursache der Hautnekrose.



Nicht selten findet sich in der Hautumgebung eine rankenartige, figurierte, livide Hautzeichnung, eine Livedo racemosa. Ebenfalls ist die Umgebungshaut schwarz-nekrotisch mit einem angrenzenden düsterroten oder auch hellroten Entzündungssaum. Das Ulcus hypertonicum Martorell hat eine hoch-charakteristische Prädilektionsstelle: Die laterodorsale Unterschenkel-Region, einschließlich der Achillessehne. Manchmal tritt das Ulcus auch isoliert über der Achillessehne auf. Bloß bei ungefähr 10% der Patienten sind auch andere Lokalisationen betroffen, zum Beispiel der mediale Unterschenkel. Bei ca. 50% der Betroffenen auch doppelseitig – an beiden Unterschenkeln. Leitsymptom ist der plötzlich auftretende, nahezu unerträgliche, ischämische Infarktschmerz.

 

Diagnostik

Über die Notwendigkeit einer bioptischen Absicherung der Diagnose gehen die Meinungen auseinander. Aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes und der invasiven therapeutischen Konsequenzen ist eine Hautbiopsie zur Diagnosesicherung empfehlenswert.

Biopsietechnisch bewährt hat sich eine relativ lange, jedoch schmale Probebiopsie eines spindelförmigen Gewebestreifens in Längsachse der Extremität. Die Biopsie beinhaltet zwei bis drei Zentimeter Nekrose und zwei bis drei Zentimeter gesunde Haut, somit 4–6 cm lang, jedoch bloß 5 mm breit, und wird bis auf die Unterschenkel-Faszie entnommen. Dieser schmale Hautstreifen wird intakt belassen und für die Histologie der Länge nach eingekapselt, damit dieser für die histologische Verarbeitung in seiner gesamten Länge von der Seite her aufgeschnitten werden kann. Damit wird die Möglichkeit eines «sampling errors» praktisch ausgeschaltet. Die Chancen, den pathologischen Prozess – die obliterierende subkutane Arteriolosklerose – vorzufinden, sind unter diesen Voraussetzungen sehr hoch.

Oberflächliche Wundbiopsien wie Stanzbiopsien tragen das Risiko in sich, dass die häufig klinisch gestellte Fehldiagnose Pyoderma gangraenosum auch von histopathologischer Seite vorgeschlagen und somit „bestätigt“ wird. In einer oberflächlichen Wundbiopsie sind nur die Nekrosen der oberen Hautschichten und dichte Entzündungsinfiltrate neutrophiler Granulozyten erkennbar. Es besteht somit die reelle Gefahr einer doppelten klinischpathologischen Fehldiagnose.

Therapie

Die chirurgische Behandlung führt beim Ulcus hypertonicum Martorell in aller Regel am raschesten zu einer Besserung der fast unerträglichen Schmerzen. Die Hautnekrosen werden bis auf die Unterschenkelfaszie exzidiert, und die Exzisionswunde wird nach Möglichkeit während 6–10 Tagen mit einer lokalen Unterdrucktherapie konditioniert.

Die Spalthauttransplantate heilen typischerweise im Zentrum auf der Unterschenkelfaszie direkt an, während die Nekrose der Wundumgebung oft noch weiter fortschreitet. Dennoch gehen die Wundschmerzen nach der ersten Spalthautverpflanzung rasch zurück. Beim Ulcus hypertonicum Martorell ist eine Spalthautverpflanzung die wirksamste Analgesie. Wenn möglich soll versucht werden, die neu entstehenden Wundrandnekrosen ambulant und konservativ durch umschriebene Débridements und eine geeignete, dem Wundzustand entsprechende Lokaltherapie. Ein Teil der Patienten benötigt jedoch mehrere chirurgische Folgeeingriffe, bis die Krankheit zum Stillstand kommt und sämtliche Wunden abheilen.

Kurzzusammenfassung und Unterschied zwischen Ulcus Cruris Hypertonicum und Pyoderma Gangraenosum

Ulcus Cruris Hypertonicum

  • Gehört zu den häufigen Ursachen chronischer Wunden am Unterschenkel. Die korrekte Diagnose wird aber oft verpasst
  • Klinisch ist die äußerst schmerzhafte, figurierte Hautnekrose am laterodorsalen Unterschenkel oder über der Achillessehne wegweisend. Eine Ausbreitung der Nekrose im entzündlich-lividen Wundrand ist typisch
  • Histologisch ist die ausgeprägte Arteriolosklerose der Subkutis wegweisend. In mehr als der Hälfte der Fälle wird die Arteriolosklerose von einer Mediakalzinose begleitet
  • Alle Patienten haben eine arterielle Hypertonie, mehr als die Hälfte hat Diabetes Typ 2
  • Die Hälfte der Patienten leidet an einer ipsilateralen pAVK. Der Rest hat eine ausschließliche Arteriolosklerose der Subkutis
  • Die Therapie ist primär chirurgisch: Nekrose abtragen, lokale Unterdrucktherapie, Spalthautverpflanzung. Phasenweise benötigen die meisten Patienten Antibiotika. Oft ist der Krankheitsprozess nach einer erfolgreichen Spalthauttransplantation im Wundrand immer noch progredient. Manche Patienten benötigen daher bis zur Heilung mehrere Operationen
  • Eine Infusionstherapie mit Natrium-Thiosulfat kann die Blutzirkulation und Gewebeoxygenierung verbessern. Natrium-Thiosulfat-Infusionen werden auch in der ähnlich ablaufenden «Calciphylaxis» eingesetzt

 

Pyoderma Gangraenosum

  • Kann in jedem Alter ausbrechen, in der Regel aber jünger als 60 – 80 Jahre. Häufigkeitsgipfel im 25. und 54. Lebensjahr.
  • Kann an jeder Körperstelle entstehen, die häufigste Lokalisation sind die unteren Extremitäten
  • Es wird davon ausgegangen, dass die Erkrankung durch eine Autoimmunkrankheit entsteht. Assoziiert werden rheumatoide Erkrankungen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, chronische Infektionskrankheiten, postoperative Wundheilungsstörungen, aber auch Leukämien und myeloproliferative Erkrankungen
  • Systemische Behandlung mit Immunsuppressiva, aber eine spezifische, einheitliche und effektive Therapie bei Pyoderma gangraenosum existiert nicht
  • Eine operative Maßnahme  ist kontraindiziert (außer wenn durch eine adäquate immunmodulierende Behandlung der autoinflammatorische Prozess der Gewebezerstörung erfolgreich durchbrochen wurde), da dies zu einer Verschlechterung und Vergrößerung der Wunde führen kann (Pathergiephänomen)

 

 

 

 

Quellen:
- http://www.enzyklopaedie-dermatologie.de/artikel?id=4087
- https://medicalforum.ch/de/resource/jf/journal/file/view/article/smf.2014.01857/smf-01857.pdf/